Coming of Middle Age: The Letter in which I got to be a modern Disney princess (the eldest daughter)
Schon länger frage ich mich, …
… ob es tatsächlich immer irgendwie einen Weg gibt und ob er wirklich oft dort auftaucht, wo wir ihn am wenigsten erwarten?
Ich habe mir vor einigen Jahren einen Staubsaugerroboter gekauft mit der Idee, dass der arbeiten kann, während ich ebenfalls arbeite. Zwei ganz wichtige Dinge habe ich dabei jedoch nicht beachtet. Erstens, ich habe Kinder, d. h. es liegt immer irgendetwas rum, das erst aufgesammelt werden muss, bevor wir Emily (so haben wir den Roboter getauft, nach dem Roboter aus She-Ra) saugen kann. Diese Task, wenn auch schwierig, ist zumindest mit gutem Willen umsetzbar. Aber daneben befanden sich zwischen Flur und wirklich jedem einzelnem Zimmer unserer Wohnung Türschwellen, die unglaublich hoch waren. Wie hoch genau kann ich heute nicht mehr sagen, ich bin furchtbar schlecht darin, Mengen und Höhen zu schätzen, aber alle Personen, die nicht in unserer Wohnung wohnen, haben sich regelmäßig böse die Zehen daran gestoßen. Und Emily konnte sie nicht überwinden. Anfangs dachte ich auch hier noch, okay, hebe ich sie halt immer rüber, sie macht dann das Zimmer sauber, während ich das nächste für die Reinigung vorbereite, aber das ist genau zweimal passiert und dann nie wieder. So kam es, dass Emily für etwa zwei Jahre in der Abstellkammer vor sich hinrottete.
Während einer Ausmistaktion in diesem Frühjahr befand ich schließlich, dass sie gehen müsste, nur um dann direkt nach einem Blick auf Kleinanzeigen festzustellen, dass das scheinbar jede dritte staubsaugerroboterbesitzende Person in Berlin dachte. Türschwellen im Altbau sind halt eine große Sache hier und unordentliche Kinder wohl auch. Ebenso Haushalts-Impulskäufe. Der Markt war überschwemmt, Geld würde ich also für Emily eher nicht bekommen. Und da ich mich sowieso unwohl damit fühlte, Dinge, die bereits einen Namen hatten auszusortieren, beschloss ich, dass stattdessen die Türschwellen gehen mussten. Soweit, so leicht, abgeschraubt und erledigt. Abgesehen von der Schwelle zum Badezimmer. Die war nämlich nicht nur die höchste, sondern bedauerlicherweise auch noch mit den Fliesen darunter verklebt. Auf einen Kompromiss wollte ich mich an dieser Stelle aber nicht mehr einlassen und mit ein wenig Kraft und Gewalt hatte ich auch schließlich diese Schwelle draußen, inklusive der beiden Fliesen, an denen sie geklebt hatte.
Es wurde Sommer, andere Aufgaben waren wichtiger und ich stand vor der Aufgabe, die hässlichen Lücken zwischen den Zimmern zu reparieren. Auch dies gelang mit ein oder zwei Anläufen – Emily konnte nun allein zwischen den Zimmern hin- und herfahren, ich war einigermaßen begeistert. Außer natürlich durch den Badezimmereingang. Der war immer noch zu hoch und außerdem klaffte dort jetzt zwei styroporgefüllte Löcher im Boden. Ich schob eine Holzlatte davor und überklebte alles mit Panzertape, wie gesagt, andere Aufgaben waren wichtiger. Ich ignorierte neugierige Nachfragen von Besucher*innen und verbrachte viel Zeit damit, darüber nachzudenken, was ich mit der Stufe tun wollte. Dann vergaß ich sie wieder für ein paar Wochen.
Im Laufe des Sommers lernte ich, Fliesen schneiden und zu verlegen und bastelte aus einem alten Bettgestell eine Holzstufe. Die Sache mit den Fliesen gelang mir gut, die Holzstufe sah auch ganz annehmbar aus, aber nachdem ich alles verschraubt und verklebt hatte, kam plötzlich heraus: Immer noch zu hoch für Emily. Auch an dieser Stelle wollte ich mich aber nicht auf einen Kompromiss einlassen und begann nun, mit Feile und Hobel die Stufe zu verkleinern. Ich glaube, ich wusste vielleicht nicht vom ersten Moment an, aber doch ziemlich bald, dass das nichts werden würde. Trotzdem hobelte und feilte ich ein paar Wochen vor mich hin… bis ich es schließlich doch aufgab, die Stufe ausbaute und (ich weiß, die fellow Heimwerker hier wird es interessieren) mühevoll ein kleines Treppchen aus Fliesenkleber und dünnen Holzleisten baute. Mit mit viel Aufregung und Anspannung durfte Emily gestern testen und ich machte ein paar Freudensprünge als klar war, dass ihre kleinen Füßchen endlich den Badezimmereingang allein bezwingen konnten.
Very long Story short, während ich dieses Treppchen baute, erzählte ich L., die mir beim Bau einer anderen Türschwelle geholfen hatte, dass das alles eine schöne Metapher sei dafür, wie ich Dinge im Leben angehen möchte. Statt kompromisslos weitermachen und die Sache, die ich mir vorgenommen habe, zu bezwingen, eventuell mal einen anderen Blickwinkel einnehmen. Und dann hoffentlich auf diese Weise das bekommen, was ich will. Ich musste lernen loszulassen.
Vor ein paar Wochen schrieb ich an dieser Stelle, dass ich zwar oft länger brauche, um etwas zu beenden, aber dafür eher an Dingen festhalte und sie nicht „aufgebe“. I am not a quitter! Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass ich zu sehr an meinen Plänen festhalte, in ihnen feststecke und wenig flexibel bin und sie deswegen entweder brauche, um sie zu Ende zu bringen oder gar nicht beende. Und ja, it’s true: Der Durchbruch gelingt meistens erst dann, wenn es mir gelingt, von meinem eigentlichen Plan abzukommen und die Perspektive zu ändern. Here weg go, Elsa, you were right all along, das wussten wir ja. Aber zu wissen, dass Loslassen eine gute Idee ist und es tatsächlich zu tun, sind zwei sehr unterschiedliche Paar Schuhe (Birkis vs. Manolo Blahniks). Und, auch das haben wir ja in Frozen 1 und 2 gut sehen können: Wegrennen und Verdrängung zählt nicht als Perspektivenwechsel.
Auch die aktuelle Vaiana-Sequel springt auf diesen Zug auf: „There’s always another way, even if you have to get lost to find it“, singt Halbgöttin Matangi. [Kurzer Einschub hier: Die lieb ich wirklich sehr, bei ihr ist nich ganz klar, ob sie Antagonistin oder Protagonistin ist, aber sie ist fledermausig und benutzt einen Mann, um an eine Frau zu kommen, welche sie für fähiger als diesen Mann hält und fungiert dann aber gleichzeitig auch noch als Mentorin für diese Frau. Vielleicht etwas manipulativ, aber definitiv auf die gute Art.] Anyway, auch Vaiana soll ein bisschen loslassen, nicht ganz so engstirnig den vorgegebenen Pfad verfolgen, von dem nicht ganz klar ist, ob es ihr eigener oder der irgendwelcher patriarchaler Vorfahren ist. Kommt uns das nicht bekannt vor? Plottwist: Ihr eigener Pfad ist dann doch bissi lebensgefährlich, aber irgendwie müssen die ganzen Prequels, Sequels und Multiverses ja den Spannungsbogen halten. Am Ende bekommt sie coole Tattoos, resonates with me.
Trotzdem: Moderne Disney-Prinzessinen schön und gut, wie aber macht man sich locker, wenn man im Eldest Daughter Syndrome feststeckt?
Das Eldest Daughter Syndrome ist weniger medizinischer Zustand, mehr ein Lebensstil – einer, der nach Verantwortung riecht und "Kannst du dich nicht mal zusammenreißen?" schmeckt. Als älteste Tochter war frau von klein an die inoffizielle Managerin der Familie: CEO der Geschwister- und Haustierbetreuung, die Erste, die lernen musste, wie man die Cornflakes-Packung richtig zuklappt, damit sie frisch bleibt, und diejenige, die immer scharf angeguckt wurde, wenn jemand anderes schrie. Die älteste Tochter ist die, deren Stärke Badezimmer putzen war, während die jüngere Schwester so toll backen und der kleiner Bruder super Staub wischen konnte. Sie ist auch die, die immer reifer sein soll, sich mit 9 Jahren selbst zum Sport gefahren hat und irgendwann unbewusst beschlossen hat, dass Entspannung nur etwas für andere Leute ist. Und während sie all das managt, ist sie natürlich auch verantwortlich dafür, sich nicht zu beschweren – denn "Du bist doch die Große, du schaffst das schon!" (Die medizinischen Zustände ergeben sich dann daraus.)
Schwierig wurde es bei mir als CEO für alles, als mein Leben immer komplexer wurde und ich merkte, dass mir die Kontrolle verloren ging. Und richtig blöd wurde es als mir klar wurde, dass mir als Millennial niemals wirklich gut beigebracht wurde, wie man flexibel ist (definitiv nicht in meiner Post-DDR-Kindheit). Ich habe bis heute nicht verstanden, wann ich Dinge gehen lassen muss, wenn sie mir nicht gut tun, weil ich bin die wichtigste Person in meinem Leben bin, und wann ich daran festhalten muss, weil dass irgendwas besseres kommen könnte nur ein leeres Versprechen des Kapitalismus ist. Entweder wegrennen oder durchbeißen. Mir fehlt immer noch sowohl das Gefühl für die Nuancen als auch die Vorbilder dafür (minus Disney-Princesses, aber meine Aufgaben beinhalten eher seltener die Rettung meines Fantasie-Königreiches - da läuft alles super - als Türschwellen bauen oder Beziehungen führen). Nicht sonderlich hilfreich sind an dieser Stelle die ideologischen Kriege unserer Gesellschaft, in denen einerseits traditionelle Normativität religiös verehrt und verteidigt wird (und das nicht nur von Friedrich-Merz-Fans, sondern auch ganz normalen Menschen meiner Generation) und gleichzeitig unfassbar viele weitere Lebensentwürfe existieren, die ausprobiert werden können, für die es aber keine guten Anleitungen und Pläne gibt. Ich liebe Anleitungen und Pläne und ich liebe es mich schlecht zu fühlen, weil ich ihnen nicht folgen kann. Das ist vermutlich auch keine gesunde Einstellung, aber sie fühlt sich immerhin sicherer an als gar keine Orientierung zu haben.
Manchmal - wie jetzt bei der Türschwelle - gibt es aber doch einen Durchbruch. Der ist in der Regel aber erst sehr spät im Prozess erkennbar. Es erfordert eine Menge Geduld und Mut, um überhaupt dorthin zu kommen. Ist es dann noch das Ziel, das ich eigentlich erreichen wollte? Manchmal schon, manchmal nicht. Aber wahrscheinlich ist das gar nicht so schlecht, gerade im Hinblick auf die Normativität. Denn der Prozess bietet mir auf diese Weise eine Chance herausfinden, was ich überhaupt möchte und was zu mir passt. Weil meistens weiß ich das nämlich gar nicht so gut - blaming my childhood again - und es ist schon ziemlich widersprüchlich, dass ich ausgerechnet dafür loslassen soll.
Und dann bedeutet Loslassen nämlich gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung für meinen eigenen Weg.