Coming of Middle Age: Das Kapitel mit der KW 23
Wir wollen so sehr gemocht werden, aber das geht selten auf. Je mehr wir es versuchen, desto weniger funktioniert es.
1 Buch der Woche
… ist „Hard Land“ von Benedict Wells. Ich mochte es gerne, aber es hat mich nicht total vom Hocker gehauen. Ich weiß nicht, warum, so ging es mir schon mit „Vom Ende der Einsamkeit“. Irgendwie fühlt sich das Schreiben von Benedict Wells für mich hölzern an.
In Hard Land gibt es ganz viele tolle und fantasievolle Kleinigkeiten und auch ein paar wirklich schöne Zitate (so wie in „Vom Ende der Einsamkeit“). Die meisten sind nicht neu, nun gut, das Buch soll ja auch eine Hommage an das sein, was wir schon kennen. Aber dadurch bleibt ein Nachgeschmack: Seine Literatur will so sehr gemocht werden, dass es auffällig ist. Die Kritiken, die ich bisher dazu gelesen haben, loben seine Zugänglichkeit und Emotionalität; Aspekte, die natürlich vor allem in unserer durch soziale Medien geprägten Gesellschaft wichtig sind und ziehen. Also: Viele schöne Bilder. Dafür aber: Wenig Tiefe. Weggewischt, die nächste Emotion bitte.
Die Figuren sind archetypisch und klischeehaft, es gibt kaum Ambivalenzen (Oder sie wird den Lesenden so sehr aufgequatscht, dass es komplett an der Idee vorbeigeht, denn ja, Ben, wir wissen, dass Sam einen inneren Konflikt hat, aber was genau steht dahinter?). Dafür reiht sich ein ziemlich dramatisches oder zumindest emotional aufregendes Ereignis an das andere, alle Motive, Ideen und Sehnsüchte der 80er Jahre wurden hineingepresst. Größter Scam ist wohl die Perspektive einer Person, die in den USA aufwächst. Die Beschreibung des Alltagslebens im mittleren Westen klingt doch sehr nach europäischer Perspektive – vielleicht, weil Wells selbst nie dort gelebt hat.
Die Sehnsucht danach scheint bei ihm jedoch tiefer zu liegen, denn eigentlich heißt er mit Nachnamen von Schirach, genau wie einige seiner Verwandten, die mehr oder weniger berühmte Schriftsteller sind. Yet another napo baby. Die Namensänderung hat er mit dem Erbe seines Nazi-Großvaters begründet, von dem er sich abgrenzen will und das ist eigentlich ganz schön. Wells hat er sich ausgesucht, weil er so großer John Irving Fan ist (Homer Wells ist die Hauptfigur aus Gottes Werk und Teufels Beitrag und das ist ein wirklich großartiger Roman), immerhin teilen die beiden den gleichen Verlag und damit dann auch dieselbe Etage in meinem Bücherregal.
Schriftstellerisch fehlt mir ein bisschen was bei ihm und irgendwo habe ich gelesen, dass er gut der sogenannten Middlebrow-Literatur zuzuordnen ist: Literatur, die zwischen Unterhaltung und Anspruch schwankt, dabei aber keinem ganz gerecht wird. Auf dem Zeugnis würde es heißen: Er war stets bemüht. Ich weiß nicht, ob ich noch mal was von ihm lese oder ob ich das Buch behalte (ich habe mir vorgenommen, nur noch die Sachen zu behalten, die ich noch mal lesen würde). Aber für zukünftige Werke würde ich ihm wünschen, dass er vielleicht einfach ein bisschen schreiben und erzählen kann, so wie seine großen Vorbilder, ohne zu sehr zu versuchen, irgendwem gerecht zu werden oder sie zu kopieren. Weil wir wissen (und witzigerweise ist das auch Sams Learning im Roman), dass das meistens sowieso nach hinten losgeht.
Ach ja, und worum es im Buch geht: Sam ist 15 und erlebt den Sommer seines Lebens. Er verliebt sich zum ersten Mal und seine Mutter stirbt. Das ist kein Spoiler, denn es steht beides auf der ersten Seite im Buch
2 Serienmoment der Woche
War das Staffelfinale der zweiten Staffel von Türkisch für Anfänger. Ich fand in den letzten Rewatches Lena immer beinahe unerträglich nervig, aber das liegt vermutlich daran, dass sie etwas verkörpert, dass ich ziemlich gut kenne: Die Person, die liebt und nicht so gerne loslassen möchte. Aber loslassen muss, weil es the only way out aus dieser Situation ist, denn weder sie noch Cem würden irgendwie gut dabei rauskommen.
Wie beschissen es ist, etwas loszulassen, was wir eigentlich festhalten wollen, merken wir immer dann, wenn wir es müssen. Und irgendwie auch nur dann, denn wenn es erstmal überstanden ist, vergessen wir das Gefühl gerne schnell wieder. Oder verdrängen es, ähnlich wie beim Kinder gebären. Aber der Schmerz sitzt tief und kommt spätestens dann wieder zum Vorschein - und vermutlich umso schlimmer - wenn wir uns wieder in dieser hässlichen Loslass-Situation befinden. Klar, es gibt sicherlich auch genügend Loslass-Momente die an Elsa auf dem Nordberg erinnern, ich bin frei, endlich frei, aber es gibt eben auch diese anderen.
Natürlich wissen wir, dass es falsch es, an Menschen festzuhalten, nur um sie zu halten. Und dass Menschen auch manchmal bleiben, weil sie irgendwie meinen uns etwas schuldig zu sein. Aber so wie es sich für Gürkchen beschissen anfühlt, dass Cem irgendwie lieber mit einer anderen zusammensein will, aber bei ihr bleibt, damit ihr Herz nicht bricht, aber sie ihn nicht gehen lassen möchte, weil sie weiß, dass ihr Herz dann auf jeden Fall bricht, fühlt es sich für abermillionen Menschen auf der Erde immer wieder an - na ja, zumindest diejenigen von uns, die mit westlichen Liebesidealen sozialisiert wurden. Und am Ende tun wir es dann doch. Manchmal ist es wie vom 5-Meter-Brett springen oder den Pflaster vom Unterarm abziehen, manchmal ist es wie bei 35 Grad einmal im Berufsverkehr mit der Stadtbahn von Potsdam zum Ostkreuz zu fahren. Meistens ist es irgendwie beides zusammen, erst die Bahnfahrt, dann der Sprung. Es tut weh. Und vielleicht ist es diese eine Wiederholung, die uns diesen Schmerz nicht vergessen lässt. Die dazu führt, dass wir der nervigen Hauptprotagonistin in der Lieblingsserie unserer Jugend weicher begegnen können, weil ihr Schmerz auch unserer ist und wir es endlich okay finden, ihn anzunehmen und nicht peinlich berührt wegzuschieben.
Auf jeden Fall weiß ich, dass ich mein Leben mit Menschen verbringen möchte, die auch ihr Leben mit mir verbringen möchten. Freiwillig und im besten Fall, weil irgendeine Form von gegenseitiger Liebe mit im Spiel ist. Das macht es nicht unbedingt leichter, aber es fühlt sich fairer an.
3 Männer der Woche
Sebastian Tigges hat einen neuen Podacast oder auch: noch mehr angeblicher politischer Aktivismus und die nicht erkennbare Grenze zum Geltungsbedürfnis. Das ist weder neu noch singular. Es nervt mich und macht mich wütend, dass offenbar vor allem dann zu ihren Emotionen finden, wenn sie es medial ausschlachten können. Und dass es dann auch irgendwie okay ist. Wohlgemerkt, bei Frauen wäre es nicht okay.
In Medien, Social Media, Popkultur und Politik taucht in den letzten Jahren immer häufiger das Bild des „armen Mannes“ auf. Der Mann, der nie weinen durfte. Der Mann, der seine Rolle als Vater ernst nimmt und dafür gelobt wird (in erster Linie sich aber erstmal komplett schamlos selbst lobt). Der Mann, der unter Feminismus leidet, weil er nicht mehr weiß, „was er darf“. Der Mann, der in Beziehungen emotional verwahrlost ist und dafür Verständnis erwartet, denn er hat es ja nie anders lernen dürfen. Das größte Opfer des Patriarchats sind halt Männer.
Diese Erzählungen sind oft nicht grundsätzlich falsch, aber sie werden häufig entkontextualisiert, emotional aufgeladen und als individuelle Schicksale dargestellt, ohne gesellschaftliche Machtverhältnisse oder Privilegien mit einzubeziehen. Das führt dann dazu, dass sich in vielen Narrativen die Perspektive so verschiebt, dass Männer nicht mehr als (Mit-)Verantwortliche für strukturelle Ungleichheit erscheinen, sondern als primäre Leidtragende. Das alles passiert oft in einer Weise, die aufmerksamkeitsökonomisch funktioniert, aber auf Kosten anderer – besonders von Frauen, queeren Menschen und marginalisierten Gruppen, deren reale Probleme nach wie vor weniger Sendezeit bekommen.
Marie Nasemann ist sicher kein totales Opfer mit ihren Nannys usw., die sie sicherlich auch nach der Trennung unterstützen. Aber wie weird wäre es einfach, wenn sie einen Podcast darüber gestartet hätte, wie arm und missverstanden Frauen sind. Bastis Argument, dass die Idee für diesen Podcast schon ganz lange in seinem Kopf herumgeistert und nicht erst jetzt entstanden ist, nimmt nicht wirklich die Schärfe aus der ganzen Geschichte - im Gegenteil. Vielleicht war auch genau das der Trennungsgrund: Der missverstandene Mann.
Darüber hinaus schien es in dieser Woche auch okay zu sein, über Trump und Musk zu sagen, wie benähmen sich wie “girlies” und dass dann als Beleidigung zu meinen. Na klar, mächtige Männer, die sich in aller Öffentlichkeit anpicken, benehmen sich wie Frauen. Darüber können wir auch vergessen, dass es zum Beispiel ziemlich mächtige Frauen überall gibt, die … sich offenbar nicht wie “girlies” benehmen, sondern erfolgreich Firmen und Länder führen. Aber das ist oft nicht so öffentlichkeitswirksam, weil … sind ja Frauen.
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Ich liebe den "girlie-Kommentar" und den Verweis auf all die vielen Frauen, die ohne Starallüren und "Pullermannvergleich" ihren Job erledigen.
Volle Zustimmung, was Benedict Wells angeht. Gut analysiert.